Mystik heute?
Unter den vielen Heiligen, die die kirchliche Tagesliturgie uns vorstellt, werden Mystiker und Mystikerinnen genannt. Was ist Besonderes mit diesen Menschen, passen sie in unsere Zeit?
Mystiker nennen wir solche Menschen, die etwas erfahren haben, was nicht jedem Menschen zugänglich ist. Bekannt sind uns z.B. Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen, die Frauen von Helfta, Theresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Thomas von Kempen, Meister Eckhart, Nicolaus v. d. Flüe, und viele andere. In der wissenschaftlichen Theologie dagegen kommt Mystik kaum vor. Allzu oft hat es das kirchliche Lehramt den Mystikern es schwer gemacht. In unserem Jahrhundert ist Mystik für uns auch in der Kirche sehr wichtig geworden. Immer wieder wird die Aussage des großen Theologen Karl Rahner zitiert mit seinem prophetischen Ausspruch: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“ Was aber kann wie erfahren werden?
Der Begriff kommt wohl aus dem Griechischen „myein“ und bedeutet so viel wie „Augen und Ohren verschließen“. Danach können wir Mystik vorsichtig definieren als das Erkennen und Erfahren einer transzendenten Wirklichkeit. Das kann durch Visionen, Erkenntnisse, Bilder und Wahrnehmungen geschehen. Solche Erfahrungen sind individuell und abhängig von der Kultur und dem Kontext des Erfahrenden. Die mystischen Erkenntnisse sind für uns nicht herstellbar. Als menschliche Voraussetzung gelten für die christliche Mystik die Sehnsucht und die Liebe.
Viele Menschen ziehen es vor, über ihre Erfahrungen zu schweigen, weil diese sich schwer oder überhaupt nicht versprachlichen lassen. Allenfalls lässt sich Mystik in Bildern oder in poetischer Sprache ausdrücken. Es gibt auch in unserer Zeit bekannte Frauen und Männer, von denen mystische Erfahrungen bekannt sind, z. B. Dag Hammarskjöld, Dorothe Sölle, Madelaine Debrel, Thomas Merton u.a.
Dorothe Sölle sagt: „Mein Interesse ist es nicht, die Mystiker zu bewundern, sondern mich von ihnen erinnern zu lassen und das innere Licht täglich so deutlich wie nur möglich zu sehen: Es ist auch in mir versteckt.“ (Sölle, D. Mystik und Widerstand S 20) Wir sollten diese Erinnerung ernst nehmen, damit wir nicht das Licht in uns selbst übersehen! Denn unsere Zeiten – auch die der christlichen Kirchen – erscheinen dunkel, aber unsere Sehnsucht und unsere Liebe lassen uns vielleicht das Licht sehen.
Text Edeltraut Nölkensmeier
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